Montag, 12. Dezember 2011

Und es sind Menschen auf der Flucht

Es ist ein unwürdiges Trauerspiel. Ein höchst unwürdiges Trauerspiel. Weltweit haben die Medien über die Menschen in Nordafrika geschrieben, die sich gegen ihre grausamen Diktatoren erhoben haben. Auch in der Schweiz. Dass solche Ereignisse Flüchtlingsströme auslösen, liegt in der Natur der Sache. Umso tragischer ist es, was wir in der Schweiz zur Zeit an Widerstand und Ablehnung gegen Asylbewerber erleben müssen.

Bettwil, eine kleine Gemeinde im Kanton Aargau, von der wohl noch kaum jemand in der Schweiz etwas gehört hat, ist zu einem Symbol geworden. Für einige ist sie das Symbol des Widerstandes. Passender erscheint mir aber das Symbol grenzenloser Ignoranz. Aufgrund der zugenommenen Asylgesuche in der Schweiz braucht der Bund dringend Plätze, um die Asylbewerber unterzubringen. Diese Unterkünfte sind aber rar, was nicht zu Letzt auf die Sparmassnahmen und falschen Prognosen des ehemaligen Justizministers Christoph Blocher zurückzuführen ist. Blocher ist nämlich davon ausgegangen, dass die Schweiz jährlich maximal 10'000 Flüchtlingsgesuche zu behandeln hat. Entsprechend wurde bei den Kantonen Kapazitäten gestrichen und Geld für Reservekapazitäten gestrichen.  Alleine dieses Jahr haben wir über 15'000 Asylgesuche, genauso wie letztes Jahr. Dabei wird die Schweiz verglichen mit der Vergangenheit gar nicht von Flüchtlingen überschwemmt. Während es in diesem Jahr bisher über 15'000 Asylsuchende waren, hatten wir während des Krieges im Balkan im Jahre 1995 über 47'000 Asylgesuche. 2002 waren es über 26'000 Asylgesuche. Wenn wir also in die letzten Jahre schauen, werden wir keineswegs von Flüchtlingen überrannt, das einzige Problem ist, dass man entsprechende Plätze weggekürzt hat. Ups...


Um die Asylsuchenden -zumindest vorübergehend- trotzdem unterbringen zu können, muss der Bund diese verteilen. In der ganzen Schweiz sucht er fieberhaft nach Unterkünften. Unter anderem fand er die Militäranlage in Bettwil, in welcher er vorübergehend um die 140 Asylbewerber unterbringen wollte. Doch die Bettwiler laufen Sturm. Kantons- und Bundesvertreter wurden ausgebuht und medienwirksam protestieren die Bettwiler gegen die Unterbringung der Asylbewerber. Der Bund hat eingelenkt und spricht nun von 80-100 Aslysuchenden für eine maximale Dauer von 6 Monaten. Auch das kommt den Bettwilern nicht in die Tüte.

Die Bettwiler sehen sich als kleine Wilhelm Tells, die sich gegen die "Obrigkeit aus Bern" wehren. Dabei geben die Bettwiler zu Protokoll sie seien nicht rassistisch und es ginge ihnen nicht um die Aslybewerber, sondern dass der Bund einfach entschieden hat, ohne zu fragen. Im nächsten Satz sagen dieselben Leute aber, dass die Aslybewerber ihre Gemeinde unsicher und ihre Frauen blöd anmachen würden. "Die Kinder können dann nicht mehr alleine zur Schule gehen." Aha... das Problem ist also nur, dass Bern die lieben Bettwiler vorher nicht gefragt hat, ob sie bereit wären, die Asylbewerber aufzunehmen. Wenn Bern also nett gefragt hätte, wären die Bettwiler sofort bereit gewesen, diese furchtbar kriminellen Asylbewerber aufzunehmen? Aber eben, rassistisch seien sie nicht! Newsflash an euch, liebe Bettwiler, Tunesier kollektiv zu verurteilen, sie als Kriminelle oder als Gefahr zu bezeichnen, ist Rassismus! Da ändert sich auch nichts dran, wenn ihr "mit Deutschen verheiratet" seid oder "nichts gegen die Albanerfamilie im Dorf" habt!

Doch die Bettwiler wollen ja Hand zu Lösungen bieten und haben einen äusserst grosszügigen Vorschlag: Sie wären bereit, ein paar Asylbewerber aufzunehmen, diese müssten aber interniert werden. Es sei schliesslich kein Menschenrecht, sich frei bewegen zu können,  meinte ein Bettwiler gegenüber dem Tages-Anzeiger.

In Birmensdorf, einer Gemeinde mit 5'900 Einwohnern, konnten 19 Flüchtlinge untergebracht werden. Bedingung: Eine "Asylantengasse" musste her. Ein kleiner Schleichweg, welcher sicher stellen sollte, dass die Asylbewerber in ihre Unterkünfte gelangen, ohne das Quartier zu durchqueren.

Sind wir in der Schweiz bereits so weit gekommen? Die Asylbewerber müssen durch separate Gassen gehen und am besten gleich interniert werden. Erinnerungen an dunkle Zeiten werden wach. Zeiten, in denen es Judengassen gab und Juden interniert wurden.

Man kann es nicht anders sagen: Es ist zum Kotzen! Diese Menschen werden mit einer Welle des Hasses empfangen, die einen sprachlos zurück lässt. Die Humanität der Schweiz habe schliesslich ihre Grenzen, sagen die besorgten Bürger. Stimmt, diese Grenze scheint ziemlich schnell erreicht zu sein. Im Gegensatz zur Inhumanität dieser Bürger, diese scheint keine Grenzen zu kennen. Auch wenn diese ehrenwerten Eidgenossen sich als Winkelriede sehen, sie sind es nicht. Im Gegenteil, sie sind keine Helden, sie sind die Hetzer.

Offenheit gegenüber Erfahrungen anderer Gemeinden scheinen ihnen ebenso fremd wie Menschlichkeit. Dabei braucht man weder ein Gutmensch noch ein Professor zu sein, um zu erkennen, dass die meisten Gemeinden keine Probleme mit Asylbewerbern hatten. Natürlich gibt es auch unter Asylsuchenden Kriminelle. Das ist aber keine Mehrheit! So regt sich in einem Walliser Dorf mit 189 Einwohnern keinen Widerstand gegen die Unterbringung von 60 Asylbwerbern, weil man in der Vergangenheit keine schlechten Erfahrungen gemacht hat. Dasselbe gilt für die Gemeinde Utendorf in Bern, in welcher 100 Asylbewerber untergebracht werden sollen. Dies deckt sich übrigens auch mit Erfahrungen die ich machen durfte, als ich eine Zeit lang in einer Unterkunft für Asylbewerber gearbeitet habe, die Mehrheit der Asylsuchenden war anständig und keiner dieser Menschen hat jemals einem Kind aus der nahe gelegenen Schule auch  nur ein Haar gekrümmt. Aber eben, die besorgten Winkelrieds wissen es natürlich besser. Zu unbequem wäre es, das festgefahrene Weltbild zu hinterfragen, zu anstrengend, den Horizont ein klein wenig zu erweitern. Was nicht sein darf, kann schliesslich nicht sein!

In diesem ganzen Theater geht aber eines vergessen: Es geht um Menschen. Es sind Menschen auf der Flucht. Selbstverständlich gibt es darunter solche, die kein Anrecht auf Asyl bei uns haben und in ihre Heimat zurück müssen. Es sind aber auch viele Menschen drunter, die sich wirklich gegen Obrigkeiten gewehrt haben. Menschen, die Gefahr laufen, zu Tode gefoltert zu werden, wenn sie sich gegen "Obrigkeiten" wehren. Es sind Menschen darunter die schreckliches durch machen mussten, die sich wohl gewünscht hätten, ihre grössten Sorgen wären die jener Bettwilerin, die Tränen in den Augen hat, weil sie die Kinder nicht mehr alleine spielen lassen kann, wenn Asylbewerber in ihr Dorf kommen. Niemand sagt, dass man alle Menschen, die hier um Asyl suchen, aufnehmen muss. Aber zumindest ein kleines Bisschen verdammten Anstand diesen Menschen gegenüber sollte von uns ehrenwerten Eidgenossen gefälligst nicht zu viel verlangt sein!

Denn in einer Gesellschaft, in der ganze Dörfer und Gemeinden Menschen vorverurteilen und gegen diese Hetzen, stimmt etwas nicht. Eine solche Gesellschaft ist unendlich weit von unserer eigenen Bundesverfassung entfernt, die besagt, dass sich die Stärke das Volkes am Wohle der Schwachen misst. Das hat mit der historischen humanitären Schweiz nichts mehr zu tun, genau so wenig wie mit einer zivilisierten Gesellschaft.

"Was, wenn an unserer Bushaltestelle plötzlich 20 Tunesier stehen?" fragt ein Bettwiler. Wenn ich die Ereignisse der letzten Wochen ansehe, würden mir wohl 20 Bettwiler an einer Bushaltestelle grössere Sorgen bereiten!

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Menschenrechte gelten auch am ESC!

Bald ist es soweit, am 10. Dezember 2011 findet die Endausscheidung des Eurovision Contest in der Schweiz statt. 14 Finalisten treten gegen einander an, um von uns an den Eurovision Song Contest 2012 in Baku (Aserbaidschan) geschickt zu werden.

Während sich Europa auf das jährliche Musikspektakel freut, bereitet sich auch Aserbaidschan vor. Während andere Länder damit beschäftigt wären, logistisch einen guten Ablauf vorzubereiten, reicht dies der Regierung in Aserbaidschan nicht. Diese bereitet sich nämlich auch politisch vor und sorgt dafür, dass sämtliche Kritik an der Regierung im Keime erstickt werden. Schliesslich will Aserbaidschan gut dastehen, da hat es keinen Platz für Leute, die auf die nicht vorhandenen Menschenrechte in ihrem Land hinweisen möchten. So geschehen auch mit Jabbar Savalan. Der 20-jährige hatte auf Facebook gegen Proteste an der Regierung aufgerufen. Er wurde dafür verhaftet und im Gefängnis so lange geschlagen, bis er ein Geständnis auf Drogenbesitz unterschrieb. Dafür wurde er für über zwei Jahre Gefängnis verurteilt.

Der 10. Dezember ist nicht nur der Tag der Schweizer Endausscheidung für den Eurovision, er ist auch der Tag der Menschenrechte. Amnesty International hat die Gelegenheit genutzt und den ESC Finalistinnen und Finalisten auf die schreckliche Menschenrechtssituation in Aserbaidschan aufmerksam gemacht und sie gebeten ein Zeichen für Menschenrechte zu setzen, indem sie einen "Free Me" Pin am 10. Dezember tragen.

Eine hervorragende Gelegenheit, sollte man meinen, um für Menschenrechte weltweit einzustehen. Nur leider sieht dies das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) anders. Das SRF hat seine Finalistinnen und Finalisten daran erinnert, dass bei dieser kulturellen Veranstaltung keine politische Werbung oder Songtexte erlaubt sind und sich die Finalisten zuerst ein eigenes Bild machen sollen, bevor sie über Aserbaidschan urteilen. Bitte was?

Mal ganz abgesehen davon, dass einer der Finalisten einen Song mit dem Titel "Peace & Freedom" hat, gibt es einen Unterschied zwischen politischer Werbung und Menschenrechten. Menschenrechte, und das ist ja der Witz der Sache, liebes SRF, sind universell und unteilbar und gelten für JEDEN MENSCHEN.  Das hat nichts, aber auch gar nichts mit politischer Werbung zu tun. Die Sache ist aber die, dass Aserbaidschan die Menschenrechte mit Füssen tritt. Jugendliche werden in Gefängnissen die Rippen gebrochen, damit sie angebliche Taten gestehen. Homosexuelle, immerhin eine wichtige Zielgruppe des ECS, haben in Aserbaidschan ebenfalls mit Gewalt seitens der Polizei zu rechnen. Im Vorfeld des Eurovision, dieses ach-so-schönen kulturellen Anlasses wird erst recht keine Kritik geduldet, wie wir am Beispiel von Jabbar Salvan sehen können.

Aserbaidschan soll diesen kulturellen Anlass nicht nutzen können, um erst recht noch mehr Menschen zu foltern und in Gefängnisse zu werfen. Darauf soll aufmerksam gemacht werden und nicht auf politische Statements. Niemand verlangt von Guillermo Sorya, dass er mit seinem Song "Baby Baby Baby" ein Statement zu Abtreibungen abgibt und niemand verlangt von Sosofluo, dass sie sich mit ihrem Song "quand je ferme les yeux" zur Sterbehilfe äussert. Es geht um universelle, unteilbare, für alle geltende Menschenrechte!

Trotzdem kann ich mir die Frage nicht ganz verkneifen, wieso das SRF auf seiner offiziellen ESC Website den Song "Peace & Freedom" des Finalisten IVO als Einstehen für "Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit - eine Message, die sich nicht an geografischen Grenzen orientiert und die Menschen aufrütteln soll" anpreist (Zitat SRF). Ein Kandidat darf über Peace & Freedom singen und die Menschen aufrütteln, aber die anderen Kandidaten und Kandidatinnen dürfen keinen "Free Me" Pin tragen? Ist das nicht ein wenig inkonsequent?

Wie dem auch sei, Amnesty hat durchaus Recht, wenn es SRF Zynismus vorwirft. Es ist nämlich zynisch, wenn das SRF den ESC Kandidierenden empfiehlt, sich nach der Teilnahme in Aserbaidschan ein Bild zu machen. Wovon sollen sich die Finalistinnen und Finalisten denn ein Bild machen, wenn alles Kritiker weggesperrt werden und die Menschen in Angst leben müssen, gefoltert zu werden, wenn sie den Mund aufmachen? Vom netten Flughafenempfang? Vom Hotel, in das sie einquartiert werden? Von der bunten Bühne? Gerade als Schweizer Fernsehen, das gute Journalistinnen und Journalisten in der ganzen Welt hat, dürfte man mehr Sensibilität erwarten. Wären nämlich die Journalistinnen und Journalisten, die beim SRF arbeiten in Aserbaidschan geboren und würden dort ebenso ihrem Beruf nachgehen wollen, wie in der Schweiz, würden sie misshandelt und in Gefängnisse geworfen werden. Und das weiss das SRF auch ganz genau! Falls es aber mehr Informationen diesbezüglich benötigt, findet es hier einen ausführlichen Bericht zur Menschenrechtslage in Aserbaidschan.

Vor kurzem hat Viktor Giaccobbo, der eine Satire-Sendung auf SF hat, mit Amnesty International erfolgreich eine Kampagne gegen die Inhaftierung eines Künstlers in China gemacht. Die Kampagne war ein grosser Erfolg und nicht zuletzt deswegen wurde der Künstler wieder freigelassen.

Es wäre zu wünschen, dass das SRF auch in diesem Fall auf die Seite der Menschenrechte steht. Täglich hat das SRF über die Revolutionen in der arabischen Welt berichtet, als Leute für ihre Freiheit auf die Strasse gingen, dafür starben und Erfolg hatten. Als Land mit einer humanitären Tradition ist es unsere Pflicht, uns weltweit für Menschenrechte einzusetzen, wenn wir dies können. Das SRF nennt den Eurovision eine kulturelle Veranstaltung. Die humanitäre Tradition der Schweiz ist Teil unserer Kultur. Insofern würden sich die Kandidierenden nur an die Regeln halten, wenn sie am 10. Dezember dem Aufruf von Amnesty folgen würden.

Ich rufe alle Kandidatinnen und Kandidaten dazu auf, dies zu tun. Ich rufe das SRF auf, sich auf die humanitäre Tradition der Schweiz zu besinnen und Menschenrechte nicht über Kommerz zu stellen. Das wäre keine politische Werbung, sondern ein Bekenntnis zu den unteilbaren Menschenrechte, die für alle gelten!!

Die Petition für die Freilasssung von Jabbar Savalan (und weitere Petitionen) kann hier unterschrieben werden.